Der WDR Film „Akte D - Die Macht der Stromkonzerne“ regt an zur Einordnung mit Ergänzungen und zu einer Skizzierung der großen Linien der institutionellen Veränderungen im Strom- und Gassektor in den letzten 40 Jahren und der anstehenden Gestaltungsaufgaben.
Seit den 1950er Jahren rangen in der Bundesrepublik Deutschland zwei unterschiedliche institutionelle Konzeptionen der Elektrizitätswirtschaft miteinander, und ab den 1980ern kam eine dritte Konzeption hinzu:
1. die Konzeption einer regulierten monopolistischen, vertikal integrierten Organisation mit Versorgungskonzessionen und horizontaler Demarkation unter Investitions- und Preisaufsicht, die mit dem Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) von 1935 kodifiziert worden war,
2. die Konzeption einer marktwirtschaftlichen Organisation, mit Wettbewerb wo immer möglich und Regulierung wo nötig für eine kosteneffiziente und sichere Versorgung sowie mit marktwirtschaftliche Instrumenten der Umweltpolitik,
3. eine auf quantifizierte politische Entwicklungsziele ausgerichteten Konzeption mit marktwirtschaftlichen Anreizinstrumenten.
Heute ist eine Mischung aus Konzeption 2 und 3 in Kraft, die mit etwas Mühe miteinander kompatibel gestaltet wird.
Andere Konzeptionen wie eine staatliche Stromversorgung, z.B. nach dem Vorbild des französischen ‚service publique‘ mit Preisbildung nach Grenzkosten sind in der Bundesrepublik Deutschland nie relevant geworden. Die Konzeption der staatlichen Elektrizitätswirtschaft als Teil der sozialistischen Planwirtschaft, die in der DDR bestand, kam für das wiedervereinigte Deutschland nicht in Betracht.
Bis Ende des letzten Jahrhunderts galt Konzeption 1 auf der Grundlage des Energiewirtschaftsgesetze in der Fassung von 1935 (EnWG) , bis sie innerhalb von 15 Jahren durch Konzeption 2 verdrängt wurde, während Konzeption 3 allmählich von einer Sonderregel zu einem prägenden Element des institutionellen Rahmens wurde.
Erstere Konzeption wurde lange mit Erfolg von den Unternehmen der Strom- und Gaswirtschaft aufrechterhalten, insbesondere von den Konzernen bzw. ‚Verbundgesellschaften‘, die in ihren demarkierten Gebieten über Beteiligungen, Liefer- , Konzessions- und andere Verträge ihr Geschäft aufgebaut hatten und den Sektor beherrschten, wie der WDR Film von Florian Opitz zeigt. Im Paragraph 103 Gesetz gegen Wettbewerbsbeschraenkungen (GWB) wurden die leitungsgebundenen Energiesektoren weiter vom Wettbewerb ausgenommen und lediglich einer Missbrauchsaufsicht unterstellt. Die mit der Einführung des Erdgases stark expandierende Gaswirtschaft kopierte im Übrigen das Geschäftsmodell der Stromwirtschaft, wobei mit der Ruhrgas eine noch dominanteres integriertes Unternehmen entstand, dem es gelang, mit der Durchsetzung der ‚Preisbildung nach der Anlegbarkeit‘ die Gas-zu-Gas Konkurrenz auszuschalten. Die Konzerne wurden, je nach Thema, zu einem mächtigen Partner oder Gegenspieler der Politik. Partner wurden sie bei der politisch gewollten Einführung der Kernenergie und auch bei der Entschwefelung der Kohlekraftwerke sowie bei der Entwicklung des Gasimportes aus Nordsee, Russland etc., die politisch und regulatorisch gedeckt wurden. Gegenspieler waren sie bei allen Versuchen der Sektor- und der Kartellpolitik, ihre Macht zu beschränken, und der Fach-, Preis-, und Kartellbehörden, den Regulierungsspielraum auszuschöpfen. Ihr Haupt-Gegenspieler in der Wirtschaft war die Industrie, die ihre Möglichkeiten der Eigenerzeugung, Stromeinkauf und Durchleitung eingeschränkt sah. Hinzu kamen organisierte Gewerbekunden sowie einige Stadtwerke, die nicht tief in das Netz der Beteiligungen und Liefervertrage verwoben waren.
Unter den Energiewirtschaftlern und Energierechtlern neigte eine klare Mehrheit der zweiten Konzeption zu, die auch von der 1973 ins Leben gerufenen Monopolkommission durchgängig vertreten wurde. Im Laufe der 1970er erhielt aufgrund von Arbeiten internationaler Energiewirtschaftler die These Gewicht, dass die Stromversorgung nicht - wie vorher angenommen - als Ganzes ein natürliches Monopol darstellte und daher auch in einer Marktwirtschaft vom Wettbewerb ausgenommen werden könnte; Erzeugung und Abgabe an Endverbraucher könnten demnach im Wettbewerb stattfinden, der das Gesamtsystem effizienter machen sollte, und nur die netzgebundenen Funktionen von Übertragung und Verteilung sollten in regulierten Gebietsmonopolen verbleiben. Dies lieferte ein theoretisches Fundament für die Entflechtung und Entbündelung der Funktionen und auch für die Organisation von Wettbewerb.
1980 markiert den Beginn einiger Veränderungen. Mit der Befristung der Konzessionsverträge und deren Ausschreibung im Wettbewerb durch die Neufassung des GWB Paragraphen 103 gelang ein erstes Verringern der Machtposition. Gleichzeitig wurde den Stromversorgern auch intern klar, dass die Stromnachfrage bei weitem nicht so wachsen würde wie in den Ausbauplänen mit Vorrang für die Kernenergie zugrunde gelegt. Mehrere ernstzunehmende Publikationen über alternative Zukunftsentwicklungen unter den Schlagworten ‚Energiewende‘ und ‚Entkopplung‘, auch aus den eigenen Reihen, signalisierten das Ende einer als historische Notwendigkeit behaupteten großtechnischen Vision. Hinzu kamen Umweltschutz und Kernenergiegegnerschaft.
Die Wiedervereinigung und die Folge-Aktivitäten veränderten die Voraussetzungen dann fundamental. Wie im Film von P. Becker, einem beteiligten Anwalt, geschildert, wurde die von den Konzernen schon vorangetriebene Übernahme der Versorgung in den neuen Ländern durch eine erfolgreiche Klage der ostdeutschen Stadtwerke vor dem Bundesverfassungsgericht vereitelt. Damit funktionierte das wettbewerbsbeschränkende Geschäftsmodell der Konzerne nicht mehr wie bisher, da sie nicht mehr flächendeckend und an einer wichtigen Flanke die Kontrolle hatten. Gleichzeitig erlaubte es der neue Raum auch mindestens einem Konkurrenten der Ruhrgas, direkt an internationalen Gasimporten teilzunehmen, ohne Ruhrgas-kontrollierte Leitungen benutzten zu müssen.
Bereits im Verlauf der 1980er Jahre wurde die
Position der Strom- und Gaswirtschaft durch Aktivitäten zugunsten des EU Binnenmarktes für Energie
seitens der EU-Kommission, die sich die neue theoretische Grundlage zu Eigen machte, zunehmend in Frage gestellt. Trotz heftigem Lobbying
vor allem der deutschen Konzerne, aber auch der französischen EDF, setzte sich die EU 1996 mit einem ersten Legislativpaket mit gemeinsame
Vorschriften für die Strom- und Gasmaerkte durch, das
zwei noch zahnlose Modelle (verhandelter Netzzugangs und Single-Buyer) vorsah. Deutschland setzte dies 1998 mit einem neuen EnWG und der Aufhebung der Ausnahme für
Demarkations-Verträge um.
Mit der Aussicht auf stagnierende Nachfrage und sinkende Marktmacht und Preisbildung im Wettbewerb begann das Fundament zu bröckeln, auf dem die Kernenergiestrategie gestanden hatte, sodass die Stromwirtschaft nach dem Ausstieg auf die Wiederaufarbeitung auch in den Ausstieg aus der Kernenergie einwilligte, den sie mit der rotgrünen Koalition vereinbarte, in der mit W. Müller ein Seitenwechsler saß, der schon in den siebziger und achtziger Jahren intern in RWE und Preussenelektra bzw. VEBA die Grenzen der Expansionsstrategie aufgezeigt und für den Energiekonsens geworben hatte.
Die EU trieb die Änderungen weiter voran mit einem zweiten Legislativpaket 2003 und schließlich einem Dritten Legislativpaket 2009, das die effektive Entbündelung der Funktionen Wettbewerb in der Erzeugung und um Endkunden sowie eine effektive Regulierung der Netze vorsah. Bei dem schrittweisen Vorgehen hatten sich die Stromerzeuger, die zudem miteinander zu nur noch 4 Großen fusioniert hatten, zunächst ihre Marktstellung, die verbliebenen Angebots- und Netz Engpässe zur Verbesserung der Erträge genutzt, unter massiver Kritik der Wettbewerbshüter. Ihre Aktienkurse stiegen noch bis 2008 stark an. Das war dann vorbei, als effektiver Wettbewerb zu Preissenkungen im Grosshandelsmarkt führte. In Deutschland wurde das System der Strommärkte geschaffen, das wir heute kennen, womit die obengenannte 2. institutionelle Konzeption weitgehend Wirklichkeit wurde. Beigetragen hat zu dem Preisverfall aber auch die Umsetzung der o.g. dritten Konzeption.
Seit den 1990ern war parallel, zunächst als exotische Einspeiseregel, eine dritte Konzeption des Stromsektors entstanden, die nach der Jahrhundertwende im Erneuerbare Energien Gesetz (EEG) fixiert und zum breit angewandten Förderinstrument wurde. Statt die Erzeugung sich im Wettbewerb ergebnisoffen entwickeln zu lassen, bei energie- und umweltpolitisch begruendeten ordnungsrechtlichen Einschraenkungen (einschliesslich Verzicht auf eine Technologie) sowie Anreizen durch Steuern, Abgaben oder Rechtehandel, wurden in der neuen Konzeption spezielle und definierte Technologien durch Vorrechte und Preisanreize gefördert. Damit kam eine auf konkrete politische Leitvorstellungen ausgerichtete, aber in der Umsetzung sich marktwirtschaftlicher Instrumente bedienende Konzeption zum Tragen. Motiviert wurde diese durch den Klimaschutz auf der einen und den risikobegruendeten Verzicht auf die Kernenergie auf der anderen Seite, weswegen zusaetzlich zu den in der Wirkung breit streuenden Instrumenten der beschraenkten Verschmutzungsrechte oder Steuern gezielt auf bestimmte THG-emissionsarme Technologien gesetzt wurde.
Dieses Steuerungs-Instrumentarium mit finanzieller Begünstigung vin gewünschten Entwicklungen, finanziert durch eine stark differenzierte Umlage auf den Strompreis, gewann mit dem wachsenden Anteil der Erzeugung aus den geförderten erneuerbaren Energieneine immer größere Bedeutung. Die Strom-Märkte, die nach EnWG funktionieren, haben die Aufgabe gemeistert, die rasch steigende privilegierte Erzeugung aus variablen Erneuerbaren aufzunehmen, und die Qualität der Versorgung zu erhalten. Damit wurde Konzeption 3 durch Konzeption 2 akkomodiert. U.a. zur Kompatibilisierung der beiden Allokationsmechanismen wurden und werden auch an EEG –Vorschriften Modifizierungen vorgenommen. Das Instrument wird nunmehr auch breiter eingesetzt, auch um Kraft-Wärme-Kopplung zu fördern, bestimmte Netzentwicklungen zu finanzieren und sogar auch mittlerweile auch zur Finanzierung eines gesteuerten Rückzugs aus der Braunkohle.
Mittlerweile ist aufgrund der mit dem EEG hochgezogenen dezentralen Erzeugung und der Digitalisierung ein ganz neues Paradigma des Betriebs der Elektrizitätswirtschaft erwachsen, die wieder Modifizierungne der institutionelle Regelung erfordert. Dazu müssen die Konzeptionen 2 und 3 noch besser miteinander verzahnt werden, was auch die Bewältigung der kommenden Synchronisations-Aufgaben bei noch höheren Anteilen an Erneuerbaren mithilfe Flexibilisierung erleichtern soll. Dies ist die aktuelle Gestaltungsaufgabe, die in Grünbuch diskutiert und für die im Weißbuch sowie im neuen Gesetzentwurf der Bundesregierung (Entwurf eines Gesetzes zur Weiterentwicklung des Strommarktes - Strommarktgesetz) Lösungen vorgeschlagen werden.
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Dr. Paul H. Suding Mail: paul@elsud.net
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