Energiewende Fortschrittsbericht und Expertenkommission – Anmerkungen zu Zielhierarchien

Die Institutionalisierung einer Stellungnahme von unabhängigen Experten zur Begleitung des offiziellen Energiewende-Monitoring ist sachlich, methodisch und politisch ein Segen, auch weil die berufenen Experten ihre Aufgabe so undogmatisch wahrnehmen.  Das beginnt mit dem Dialog über Zielhierarchien, der zu Kommentaren anregt.

Die gleichzeitig mit dem Fortschrittsbericht der Bundesregierung zur Energiewende veröffentlichte Stellungnahme kann man als Kritik an der schwarz-gelben Regierung lesen, da die Experten deutlich machen, dass der bis 2013 erreichte Fortschritt insbesondere bei der Energieeffizienz und bei der Senkung der Treibhausgasemissionen hinter dem Stand zurückgeblieben ist, der für die Zieleerreichung angezeigt war. Man kann sie auch als Kritik an der seit einem Jahr aktiven schwarz-roten Koalition verstehen, da die Experten sich nicht scheuen, die von ihr getroffenen und geplanten energiepolitischen Maßnahmen als unklar bzw. unzulänglich kritisieren, um die verlorene Zeit gutzumachen, sodass  zu  befürchten ist,  dass die Etappenziele 2020 der Energiewende nicht erreicht werden. Ich will nicht weiter auf die vielen Punkte und auch Vorschläge der Kommission eingehen, die sich in die vielen Ebenen der Details begibt.  Ich will nicht zu sagen versäumen, dass auch BMWi ein Lob für den detaillierten Fortschrittsbericht selbst verdient, und dass man es der Bundesregierung hoch anrechnen soll, dass sie sich dieser ungefilterten Kritik der Kommission stellt.   

In diesem Beitrag will ich mich aber mit dem etwas trockenen methodischen Thema von Zielsystemen  und Indikatoren beschäftigen, da die Experten ihm auch einen breiten Raum im ersten Teil der Stellungnahme geben und dies in unserer entwicklungspolitischen „community  so ein zentrales Thema wesentlich ist.

Um es gleich vorwegzusagen: Ich habe Probleme mit der Zielhierarchisierung,  die von den Expertenvorgeschlagen wird, aber auch mit der Systematik und Formulierung im Fortschrittsbericht selbst.  

Zitat aus der Stellungnahme:

  „Das Energiekonzept und dessen beschleunigte Umsetzung … scheinen für uns durch zwei Oberziele bestimmt: die Senkung der Treibhausgasemissionen um 40 % bis zum Jahr 2020 und der Ausstieg aus der Kernenergie bis zum Jahr 2022. Diese Oberziele werden durch verschiedene Unterziele flankiert und über politische Maßnahmen umgesetzt. Die Unterziele und Maßnahmen wiederum können und sollten flexibel anpassbar sein, sofern dabei die Oberziele nicht verfehlt werden.

Das energiepolitische Zieldreieck aus Wirtschaftlichkeit, Umweltverträglichkeit und Sicherheit stellt den konzeptionellen Maßstab zur Bewertung der Unterziele und Maßnahmen dar. Zeigt sich im Rahmen des Monitoring -Prozesses, dass die Unterziele nicht oder nur unter unverhältnismäßig hohen ökonomischen, sozialen oder ökologischen Belastungen erreicht werden können, dann sollten die Unterziele und Maßnahmen entsprechend angepasst werden. So kann und sollte möglicher Nachsteuerungsbedarf bei den Unterzielen und Maßnahmen identifiziert werden.

Die Oberziele Reduktion der Treibhausgasemissionen und Kernenergieausstieg sind jedoch gesetzt.“

Das Problem, das ich habe, ist möglicherweise ein terminologisches, es entsteht aber aus einem Konflikt in der Wirkungslogik.

Die Kommission stellt das energiepolitische Zieldreieck „nur“ als Maßstab zur Bewertung der Unterziele,  gewissermaßen neben das operative Zielsystem aus Unter- und Oberzielen. Dabei ist doch das Zieldreieck  an sich übergeordnet und sollte mit dem allgemeinen Zielsystem der Politik kohärent sein. Das scheint mir ein Trick der Kommission , um dem logischen Problem zu entkommen, dass es sich bei Reduktion der THG Emissionen und Kernenergieausstieg um erwünschte Zustände handelt, die an sich auf Ebenen unter dem Zieldreieck liegen, instrumentell zur Erreichung namentlich des Umweltverträglichkeitszieles dienen.

Eine Erklärung für diese Duplizität der Zielsysteme liegt darin, dass das „Energiekonzept“ der Bundesregierung von 2010, das in seiner  nur in Bezug auf die Kernenergie  geänderten Fassung von 2011 die konzeptionelle Grundlage der Energiewende bildet,  nicht die Energiepolitik der Bundesregierung als Ganze darstellt.  Daher hat die Energiewende ihren eigenen Zielkatalog, der allerdings mit dem allgemeinen Zielsystem der Energiepolitik kohärent sein sollte.

Im Text des Fortschrittsberichts zu den Zielen in Teil II kommt das auch so zum Ausdruck.

Ob man sie „politische Ziele“ oder „Oberziele“ nennt, ein Kennzeichen dieser politisch erwünschten Zustände (40% weniger THG Emissionen 2020 und Null Kernenergie 2022)  ist, dass sie nicht verhandelbar sind, bei den THG Emissionen  jedenfalls nicht in ihrem Mindestwert.

Eine andere Möglichkeit, mit dem logischen Problem umzugehen, bestünde darin, diese beiden Zustände als Randbedingungen in das Zielsystem aufzunehmen. Randbedingungen sind bekanntlich strikter als Ziele.  Dann könnte man zu einer Zielhierarchie zurückkehren, in der das Zieldreieck die oberste  Zielebene bildet und die Logik der Wirkungskette von Unter- auf Oberzielen eingehalten wird.

Neben den beiden genannten nimmt der Fortschrittsbericht auch die Versorgungssicherheit in die Gruppe der politischen Ziele auf.  Die Experten kritisieren das, da dies ein qualitatives Ziel sei und nicht mit den beiden anderen quantitativen Zielen vermengt werden sollte.  Dieser Einschätzung der Kommission  kann ich nicht folgen, da  mit der Netzqualität, und mit der ausreichenden Reserve, auch mit der Differenzierung der Importe wesentliche Aspekte der Versorgungssicherheit  mit quantitativen Indikatoren gemessen werden können.

Die „Sicherheit der Versorgung“  hat als dauerhafte, immer  zu gewährleistende Mindestanforderung klar den Charakter einer Randbedingung.  Wie die politisch  erwünschten Zustände 40% weniger THG Emissionen 2020 und Null Kernenergie 2022 ist sie nicht verhandelbar, bei THG Emissionen  jedenfalls nicht in ihrem Mindestwert.  Damit würden diese drei die Gruppe der Randbedingungen bilden, die als Kategorie in das Zielsystem  einzuführen wären. 

In dem anderen  die „politischen Ziele“ betreffenden Kritikpunkt ist der Kommission zuzustimmen, nämlich dem Ziel der Wettbewerbsfähigkeit. Die hat eine andere Qualität und passt logisch nicht in diese Gruppe.  Dieses Ziel ist im Übrigen neu im energiepolitischen Zielkatalog und scheint das noch 2013 gebräuchliche Ziel Bezahlbarkeit zu umfassen, aber auch solche Aspekte wie Innovationen. Es ist offenbar etwas anderes als das Ziel der Kosteneffizienz, das im Zielsystem des Energiekonzepts lt. Fortschrittsbericht als Optimierungsziel auf der Steuerungsebene auftritt. "Wirtschaftlichkeit" taucht hier gar nicht mehr auf, jedenfalls nicht mehr als solches formuliert, obwohl man ja Kosteneffizienz als Unterziel  der Wirtschaftlichkeit ansehen kann.

Man muss der Kommission beipflichten, dass die Bundesregierung legitimiert ist, die Ziele zu formulieren. Nichtsdestoweniger kann man verlangen, dass diese Konstellation mit "Wettbewerbsfähigkeit" auf der politischen Zielebene, "Kosteneffizienz" auf der Steuerungsebene und "Wirtschaftlichkeit" im energiepolitischen Zieldreieck und die Beziehungen zueinander geklärt werden. Eine Quantifizierung anhand von Indikatoren und Mindestanforderungen wäre erforderlich, wenn man Wettbewerbsfähigkeit auf der Ebene der politischen Ziele neben den genannten anderen behalten möchte. Das wird aber schwer möglich sein, wie die Kommission hervorhebt.

Man hat den Eindruck, dass hier die allgemeine wirtschaftspolitische Ausrichtung auch ihren Niederschlag in der Energiepolitik findet, in der Wettbewerbsfähigkeit  mehr und mehr Elemente der früher gebräuchlichen Zielformulierung des wirtschaftspolitischen Vierecks Wachstum,  Stabilität, Beschäftigung und außenwirtschaftliches Gleichgewicht verdrängt hat.  Das Für und Wider dieser Ausrichtung zu diskutieren würde zu weit führen.  

Der Fortschrittsbericht stellt der „Kosteneffizienz“ als Leitkriterium der Optimierung auf der Steuerungsebene die  „Integration“  zur Seite. Das ist einerseits aufschlussreich andererseits wenig operational.  Mit Integration ist laut Begleittext die Verzahnung der Handlungsfelder des Energiekonzepts gemeint. Das ist natürlich wichtig, passt aber nicht so recht in eine Optimierung. Es geht hier offenbar darum, dass sowohl bei der Erreichung jedes einzelnen Steuerungszieles, die sich ja auf unterschiedliche Handlungsfelder Stromverbrauch, Wärme,  Verkehr beziehen, als auch bei der Berücksichtigung der Beziehungen zwischen den Handlungsfeldern die Kosteneffizienz Leitkriterium ist.

 Der Fortschrittsbericht  stellt dann  noch in Teil II  „Zielarchitektur und Ziele des Energiekonzepts“ die Details der Maßnahmen vor, mit denen die Ziele erreicht werden sollen. Man erwartet das nicht unter dieser Überschrift, was nahelegt, die Gliederung oder den Titel von Teil II zu ändern.  

In Teil III werden dann unter dem Titel „Rahmenbedingungen für die Energiewende“  sehr heterogene Themen wie  Strommarkt, Netze, Energieforschung und Innovation, Energiepreise, europäischer und internationaler Kontext, gesamtwirtschaftliche Aspekte, Akzeptanz,  Umweltverträglichkeit erörtert, die „nur“ gemeinsam haben, dass sie für die Energiewende strenggenommen eher exogen sind, obwohl sie zum größten Teil Gegenstand der deutschen Energiepolitik sind und von den Maßnahmen des Energiekonzepts zumindest indirekt beeinflusst werden. 

Schaut man zurück in den ersten Teil, den eigentlichen Monitoring Bericht, so sieht man, dass ein Teil dieser Themen aus Teil III auch dort aufgegriffen wird, wobei dort versucht wird, den jeweiligen Status darzustellen, was wie eingangs gesagt, ein sehr lobenswertes Unterfangen ist.

Dabei hält sich der Fortschrittsbericht – dankenswerterweise - nicht sehr eng an den oben diskutierten  Ziel- und Kriterienkatalog, den er in Teil II vorstellt. Es wird der Fortschritt bis 2013 auch in Bezug auf Punkte wie z.B. diverse gesamtwirtschaftliche Effekte  dargestellt, die im Zielkatalog überhaupt nicht vorkommen.  Die Experten machen eine Reihe von Vorschlägen, wie und mit welchen Indikatoren dieses Monitoring noch verbessert werden kann, kommen aber auch nicht zu einem geschlossenen mit den Zielhierarchien abgestimmten System.  

Am Ende dieser Betrachtung liegt die Frage nahe, wie weit es überhaupt sinnvoll ist, die Konzeption und das entsprechende Monitoring einer solch weitreichenden Politik wie die Energiewende in ein Korsett einer Zielhierarchie zu stecken, das niemals alle Aspekte und Wirkungen erfassen und in einen logischen Zusammenhang bringen kann.  Das Bestreben ist zur Entwicklung einer logischen Politik sinnvoll, auch die Entwicklung messbarer Indikatoren und die Weiterentwicklung der Analysemethoden.  Aber es ist nicht sinnvoll, die Analyse abzuschneiden, wo man nicht in der Lage ist, die Wirkungszusammenhänge  und logischen Beziehungen eindeutig zu beschreiben.

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