Zum Problem der Treibhausgasemissionen der Stromerzeugung überstürzen sich in diesem Herbst geradezu die Ereignisse. Mit etwas Abstand beobachtet, kann man sie unterschiedlich deuten, als handfesten Konflikt zwischen Ministerien, als Meinungsbildungsprozess in der Exekutive oder als Schauspiel mit verteilten Rollen.
Manche Medien malen einen handfesten Streit zwischen BMWi und BMUB an die Wand, zwischen Parteigenossen Gabriel und Hendricks zur klammheimlichen Freude der Kanzlerin. Man kann die Vorkommnisse aber auch als Schritte in einem ziemlich rationalen politischen Meinungsbildungsprozess in der Exekutive mit kritischer Begleitung durch die Opposition betrachten. Vom derzeitigen Stand aus betrachtet, kann man es auch als ein politisches Theater mit verteilten Rollen verstehen, bei dem die beiden Ministerien ihre Zuständigkeiten unterstreichen und ihrer jeweiligen Klientel gerecht werden wollen, wobei die Positionen aber nicht so weit auseinanderliegen, dass sie sich nicht einigen können.
Die Einschätzung der fundamentalen Problemlage wird von allen Seiten geteilt: Wenn nichts Zusätzliches unternommen wird - über das hinaus, was im soeben veröffentlichten Grünbuch des BMWi steht, wird Deutschland das Ziel verfehlen, die THG- Emissionen bis 2020 um 40% gegenüber 1990 zu senken.
Zur Erläuterung: Die THG Emissionen umfassen auch Methan und andere Nicht CO2 Emissionen, werden aber in Kohlendioxid – Äquivalenten (CO2e) angegeben. Manche Medien übersehen oder vereinfachen das und nennen nur CO2. Der Kraftwerkssektor verursacht etwa ein Drittel der deutschen THG-Emissionen. Die anderen großen Verursacher sind der Verkehr, die Gebäude und die Industrie. Von der Stromerzeugung wird ein großer Beitrag zur noch erforderlichen Senkung von ca. 17 Prozentpunkten erwartet, von den anderen weniger oder gar keiner (Verkehr). Die aktuellen Trends (Wiederanstieg der Emissionen seit 2009, als nur noch 13 Prozentpunkte zum Ziel fehlten) und die mittelfristigen Szenarien zeigen auf, dass der Beitrag des Stromsektors trotz wachsender Erzeugung aus Erneuerbaren Energien nicht ohne weiteres kommen wird.
Damit würde Deutschland in der internationale Klimapolitik eine unglückliche Figur machen. Wenn offensichtlich wäre, dass Deutschland seine eigenen THG-Emissionsziele nicht erreichen wird, wäre das eine Schwächung der Position Deutschlands und Europas in den Klimaverhandlungen, die in Paris 2015 zu einer neuen längerfristigen Vereinbarung führen und für die Anfang Dezember 2014 in Paris die Weichen gestellt werden sollen.
Es besteht also Handlungsbedarf, zumindest Bedarf nach einem glaubhaften Konzept zur Zielerreichung. Das Bundeskabinett will offenbar am 03. Dezember ein entsprechendes Eckpunktepapier verabschieden.
Seit einigen Wochen herrscht anscheinend hektische Aktivität in den zuständigen Abteilungen der beiden Ministerien, übrigens besetzt mit Ex-BMU Kollegen, mit leisem oder lauten Theater der Protagonisten auf der öffentlichen Bühne:
Das Schauspiel bisher
Erster Akt , erstes Bild
31.10. Präsentation des BMWi Grünbuch Auftritt Minister Gabriel; Trotz erklärter Ohnmacht angesichts der EU Regeln unerklärliche Zuversicht die Klimaziele zu erreichen. Darauf heftige Kritik der Grünen und Umwelt-NRO
Erster Akt, zweites Bild
03.11. Präsentation IPCC Studie; Auftritt Ministerin Hendricks. Sie äußert zur Überraschung vieler, dass Stilllegungen von Kohlekraftwerken erforderlich seien. Sie sagt nicht, wie das erreicht werden soll, will aber lt Handelsblatt „die schwierige wirtschaftliche Lage der Energieversorger ebenso im Auge haben wie die Arbeitsplätze dort“.
Zweiter Akt, diverse Bilder
Auftritte der Minister während der Woche mit unterschiedlichen Botschaften (Spiegel 46/2014: Vorreiter? Nachzügler?)
Hinter der Bühne (dem Publikum von der Galerie zur Kenntnis gebracht):
Am 11. 11. wird ein Strategiepapier Gabriels bekannt Spiegel online, aus dem mit dem Satz zitiert wird. "Ich bin sicher, dass die Frage, welche Kraftwerke am Netz bleiben und welche stillgelegt werden, die Unternehmen entscheiden sollen und nicht der Staat". Und "Man kann nicht zeitgleich aus der Atomenergie und der Kohleverstromung aussteigen. Wer das will, sorgt für explodierende Stromkosten, Versorgungsunsicherheit und die Abwanderung großer Teile der deutschen Industrie."
Zweiter Akt: Eskalation
11.11. beim Auftritt von Minister Gabriel auf dem DENA Kongress kommt es zur Konfrontation mit Greenpeace.
Hinter der Bühne, wieder dem Publikum zur Kenntnis gebracht:
Am 16.11, bringt welt. de einen Bericht , in dem ausführlich über Berechnungen im Auftrag des BMWi referiert wird, die angeblich zeigen, Warum-der-Kohleausstieg-wirklich-abgeblasen-wurde. Als einziger unter den Beratern wird PWC genannt. Vielleicht ein PR Coup?
Dritter Akt: Zwischenspiel
Am 19.11 2014 präsentiert DIW eine Studie zum Thema vor, unter der Pressemitteilung: Abschaltung alter Kohlekraftwerke könnte CO2-Aausstoss in Deutschland um bis zu 23 Millionen tonnen reduzieren und den Strommarkt stabilisieren, beauftragt von der Heinrich Böll Stiftung.
Die Studie stellt Stilllegungsszenarien für Braunkohle- und Steinkohlekraftwerke vor, und soll belegen, dass es nicht nur für die THG-Emissions-Senkung, sondern auch für auskömmliche Preise am Strommarkt und damit für (einige) Kraftwerksbetreiber vorteilhaft wäre, ein Szenario zu verfolgen, bei dem die Erzeugung aus Braunkohle um fast ein Drittel zurückgehen würde, aber die Erzeugung aus (effizienteren) Steinkohle sowie Erdgasanlagen steigen würde. Den DIW-Simulationen der Strommärkte zufolge würden die Strom-Großhandelspreise steigen und die EEG Umlage fallen, sodass die steigenden Preise kompensiert würden. Lediglich die EEG-privilegierte Großverbraucher hätten mit per Saldo steigenden Strompreisen zu rechnen.
Diese Berechnungen entdramatisieren die Problemlage. Die Medien tun die ganze Zeit so, als wenn es um den Ausstieg aus der Kohle geht, was Gabriel mit seinen Sprüchen auch befeuert. In dem Lösungsszenario würden 2020 immer noch ca. 40% der deutschen Stromerzeugung aus Kohle stammen.
Hinter der Bühne (dem Publikum von der Galerie zur Kenntnis gebracht):
Spiegel online berichtet am 22.11. von dem Entwurf des Eckpunktepapiers aus dem Hause Gabriel, in dem steht, dass die Kraftwerksbetreiber per Gesetz verpflichtet werden, ihre THG Emissionen ab 2016 jährlich um eine bestimmt Menge zu reduzieren, es aber ihnen überlassen wird, wie sie das erreichen. Das wäre eine Lösung, bei der beide Minister, Gabriel und Hendricks ihre früheren Positionen nicht ändern müssen. Es würde voraussichtlich stillgelegt (BMBU), aber der Staat würde nicht bestimmen, welche Anlagen es sind (BMWi).
Die Tagesschau am 23.11. bezieht sich auf den Spiegel Bericht, zeigt das Papier und informiert über eine Einladung Gabriels an die Chefs der betroffenen Stromkonzerne schon am Montag den 24.11.
Was im Weiteren vermutlich geschehen wird:
Bis es zu einer gesetzlichen Verpflichtung kommt, werden sich die Betroffenen vermutlich heftig wehren. Das sind zum einen die privilegierten Groß-Stromverbraucher, die gemäß Simulation mehr für den Strom bezahlen müssten. Ihre Argumentation wird interessant werden, da sie ja Gefahr laufen, zugeben zu müssen, dass sie seit einigen Jahren wegen der gefallenen Großhandelspreise trotz EEG Umlage per Saldo weniger für Strom zahlen mussten. Es ist nicht auszuschließen, dass es per Saldo auch die Haushalte und gewerbliche Verbraucher treffen würde, was die Verbraucherverbände ebenso wie die Mittelstandsvertreter sehr genau verfolgen und bekämpfen werden. Da sind dann aber auch die Groß-Stromerzeuger, die versuchen werden diese neue Einschränkung des Handlungsspielraums abzuwehren. Sie werden Eigentumsrechte geltend machen. Es wird auch juristisch zu klären sein, ob eine Branche in dieser Art verpflichtet werden kann.
Abgesehen von der Machbarkeit dieser neuen gesetzlichen Emissions-Obergrenze mutet es schon merkwürdig an, wenn auf diese Weise unter- und innerhalb des gemeinsamen europäischen Emissionshandelssystems jetzt hier noch ein nationales Handelssystem eingerichtet würde, weil jenes offenbar nicht so änderbar , dass es den Zweck erfüllt, für den es geschaffen wurde.Dieser Akt wird mit der Verabschiedung eines modifizierten Eckpunktepapiers am 03. Dezember enden. Angesichts des knappen Zeitrahmens werden die technischen Details offen bleiben unter anderem, ob es nach Methode Rasenmäher oder mit gezielten Stilllegungen gehen wird. Das entsprechende Gesetz wird dann im Jahre 2015 erlassen und schon mehr Details haben.
Die Umsetzung
Wie der Eckpunktepapier-Vorschlag ausgestaltet wird und sich falls so oder ähnlich Gesetz geworden, in der Wirklichkeit ausspielen wird, ist schwer vorauszusagen. Vielleicht würden die Stromerzeuger einen Markt für stillgelegte Anlagen entwickeln, in dem für weitere (bisher nicht
genehmigte) Stilllegungen ab 2016 eine Prämie gezahlt würde von den Anlagenbetreibern, die gemäß DIW Simulation höhere Preise und Mengen erzielen würden. Die in den DIW Szenarien
ausgewählten alten Anlagen könnten dann diejenigen sein, die unter Empfang einer Prämie stillgelegt werden. Das könnte
neben RWE in NRW und Vattenfall in Brandenburg und Sachsen auch mehrere andere, aber besonders die STEAG treffen, deren relativ alte Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen aber noch zur Bewältigung der sehr variablen Residuallast im Stromsektor gebraucht werden sollen. NRW und die Städte, die an STEAG und RWE beteiligt sind, könnte
es massiv treffen, wenn die Prämie als Entschädigung nicht reicht.
Der Blick auf Europa wirft auch die Frage auf, wie verhindert werden soll, dass dieser deutsche Verzicht auf Emissionsmengen durch eine höhere Emission in anderen EU Laendern ausgeglichen wird. Gegebenenfalls hätte man zwar das deutsche Emissionsziel erreicht, aber per Saldo die THG Emissionen nicht senken können.
Die effektive Umsetzung ist also nicht von vorneherein vorgezeichnet. Noch bleibt viel zu untersuchen und zu verhandeln. Bin gespannt auf das weitere Theater.
Contact
Dr. Paul H. Suding Mail: paul@elsud.net
Greijze Graaf 9
6245 KG Eijsden/Mesch
The Netherlands
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Jörg Baur (Tuesday, 02 December 2014 02:00)
Lieber Paul,
vielen Dank für Deine spannenden Analysen! Was würde eigentlich passieren, wenn die Bundesregierung die zur Zeit immer noch sehr günstigen CO2-Emissionsrechte teilweise aufkaufen würde und so, den Wettbewerb um CO2-arme Lösungen anfachen würde. Das wäre doch eine marktwirtschaftliche Lösung, die zudem noch recht günstig wäre?
herzliche Gruesse
Jörg
Paul Suding (Wednesday, 03 December 2014 00:15)
Joerg, ich weiss nicht ob die ETS-Regeln das zulassen, dass die oeffentliche Hand Emissionsrechte kauft und loeschen laesst. NROs duerfen das offenbar und tun das schon.
Wenn man davon ausgeht, dass 2 Mrd. tCO2e zuviel im System sind, wuerde es im ersten Ansatz 10 Mrd Euro kosten, sie aufzukaufen. Waehrend einer grossen Aufkauf- und Loeschaktion wuerde der Preis pro EUA aber schon zu steigen beginnen, sodass man mit 10 Mrd Euro nur einen Teil des Ueberschusses kaufen koennte, aber auch schon einen Ansatz zur erwuenschten Preis- und Anreizerhoehung erreicht haette.
Schaun wir mal, was heute fuer Vorschlaege auf den Kabinettstisch kommen. Paul