BMWI hat eine weitere Studie zu seinem Baukasten für den künftigen Elektrizitätssektor vorstellen lassen, diesmal zum Umbau der Verteilungsnetze. Für den Nichtinsider Überraschende Detail-Ergebnisse veranlassen zu neuen Fragen
Wie sind die Studie und die Ergebnisse einzuordnen?
Das BMWi hat nach der Regierungsbildung die Gesamtstrategie zur Energiewende in ein 10-Punkte Programm und 5 Energiewende-Plattformen gefasst. Vier von den zehn Punkten betreffen direkt den Stromsektor. Der erste Punkt, die EEG Reform, wurde schon gesetzgeberisch abgearbeitet; zum Strommarktdesignwurde wurden im Juli 2014 vergleichende technische Studien vorgelegt; nun wird zu den Verteilungsnetzen eine weitere technisch detaillierte Studie zur Diskussion gestellt, auch diese bereits von der schwarzgelben Vorgängerregierung in Auftrag gegeben. Zum vierten Thema Übertragungsnetze wird derzeit ein Scenario-Rahmen erarbeitet und soll 2015 ein neuer Netzausbauplan vorliegen, der den derzeit heftiger regional-, umwelt-, parteipolitische Streit entschärfen soll. Zwei Plattformen mit Schwerpunkt Stromsektor wurden kuerzlich gestartet: Strommarkt und Verteilungsnetze
Diese Aufteilung der Gesamtthematik in Bausteine, wie EEG; Kapazitätsmärkte (Erzeugung); Übertragung, Verteilung und andere ist zweifellos verdienstvoll, da sie erlaubt mit Sachverstand in die jeweiligen Details zu gehen und abzuarbeiten. Zu begrüßen ist aber auch, dass das große Ganze in der Gesamtstrategie zusammengefasst ist, damit nicht vor lauter Bäumen und Ebenen der sprichwörtliche Wald bzw. der Systemzusammenhang nicht mehr gesehen wird. So werden auch Optionen wie die Speichertechnologien oder neue Märkte wie die Elektromolibilität, die keinen eigenen Punkt bilden, hoffentlich adäquat einbezogen, gerade in längerfristige Betrachtungen.
Nun zu der aktuellen Studie zu den Verteilernetzen: Wie die Studien zu den Kapazitätsmärkten, die hier besprochen sind, wurde sie federführend von einer technischen Beratungsfirma E-Bridge erarbeitet, hier unter Einbeziehung des Instituts für Elektrische Anlagen und Energiewirtschaft (IAEW) der RWTH Aachen , aus dem Generationen von Diplom-Ingenieuren in der Elektrizitätswirtschaft und auch Mitarbeiter der federführenden Consulting hervorgegangen sind, sowie des Instituts für Informatik der Universität Oldenburg (OFFIS). In der Pressemitteilung stellt BMWi das IAEW in den Vordergrund, wohl um die fachliche Autorität zu unterstreichen, obwohl es damit den Vorwurf riskiert, dass die Studie von einem wirtschaftsnahen Institut erarbeitet wurde, das über die Forschungsgesellschaft Energie (FGE) eng mit Netzbetreibern und Herstellern zusammenarbeitet.
Es geht um die künftigen Veränderungen der Verteilungsnetze bei den in der Energiewende angestrebten wachsenden Anteilen der Erneuerbaren Energien in der Stromerzeugung, Zeithorizont 2032. Ich will hier nicht die Ergebnisse referieren, die in der Präsentation übersichtlich zusammengestellt sind. Ich will nur auf das – jedenfalls für einen Nicht-Netzspezialisten - besonders Bemerkenswerte hinweisen.
- Die Studie erfasst neben Nieder- und Mittel- auch Hochspannungsnetze, wohl da aus ihnen jeweils Abnehmer beliefert werden und da in diese EE- Anlagen einspeisen. Höchstspannungs-Übertragungsleitungen, in die Offshore-Windparks einspeisen, bleiben außen vor
- Die Statistik der aktuellen Situation zeigt aktuell ähnliche Kapazitäten der EE-Einspeisung auf jeder Spannungsebene (16 bis 26 G) mit Übergewicht der Windparks in Hochspannung und vielen kleinen PV-Anlagen in der Niederspannung, aber stark zunehmender Solarpark-Kapazität in der Mittelspannung.
- Die Modellrechnungen nach Standardplanungsverfahren ergeben einen Investitionsbedarf bis zum Jahre 2032 von je nach Scenario 23 bis 28 Mrd. Euro, wobei alle drei Spanungsebenen betroffen sind, am stärksten die Mittelspannung und die Hochspannung. Die absolut hohe Zahl des Investitionsbedarfs sollte nicht erschrecken. Der Branchenverband selbst hat kürzlich schon für die nächsten zehn Jahre einen Investitionsbedarf von 25 Mrd. Euro beziffert.
- Sehr aufschlussreich ist die Verteilung des Investitionsbedarfs (bei konventionellen Standardplanungsverfahren), gemäß der
o nur 8 Prozent der 500.000 Niederspannungsnetze einen EE- bedingten, relativ moderaten Ausbau benötigen; 8 bzw. 13% in den meistbetroffenen ländlichen Netzklassen im Süden der Republik.
o aber 39 Prozent der 4500 Mittelspannungsnetze betroffen sind, mit einem Ausbaubedarf von bis zu 70%, regional relativ gleichverteilt.
o verkabelungsbedingt ebenso hohe Investitionen in den Hochspannungsnetz-Ausbau, mehr im Norden und Osten erforderlich sind.
Dies hat Auswirkungen auf die Ausdifferenzierung der Netzentgelte.
- Die Modellrechnungen für die Abkehr von business as usual und innovative Planungskonzepte sowie intelligente Technologien zur Reduktion des Netzausbaus zeigen, dass besonders das Erzeugungsmanagement in der Netzplanung (gezielte Abregelung der Einspeisungen aus EE – Anlagen in relativ geringem Umfang und Intelligente Netztechnologien, speziell regelbare Ortsnetztransformatoren, sehr effektiv sind, um den Investitionsbedarf zu verringern. Die Studie empfiehlt, auch bei den Altanlagen eine Möglichkeit zur Abregelung zu vereinbaren und zu schaffen. (Ich gebe noch einmal zu bedenken, allen PV-Altanlagen-Betreibern neu Verträge nach dem EEG von 2014 anzubieten und Anspruchsdifferenzen abzufinden. Das würde nicht nur die Umlage massiv senken sondern auch die Steuerungsmöglichkeiten und anderes mehr verbessern.)
- Die Kostensenkung im Gesamtsystem würde allerdings nicht so massiv ausfallen wie man nach den verringertem Investitionsbedarf vermuten könnte. da bei Abregelung eine Kompensation für die nicht eingespeiste Energie gezahlt werden muss. Eine maximale Gesamtkosteneinsparung von 15% könnte demnach bei Eispeisereduzierung von 3% und Senkung der Investitionskosten um 44% erreicht. Die Kosten von intelligenten Netztechnologie wären im Übrigen vergleichsweise niedrig.
Die Methodik erscheint solide, die Datengrundlage detailliert und spezifisch und die fachliche Qualität der Technologien cutting edge. Zur eventuellen Verifizierung wären ein paar Fallstudien an realen Versorgungsgebieten interessant.
Ohne die drei Szenarien im Einzelnen nachvollziehen zu können, scheinen sie alle im wesentlichen Netzeinspeisung des erzeugten EE-Stroms zu unterstellen. Es wäre sicher auch interessant zu sehen, welche Anforderungen an Verteilnetze entstehen und welche Systemkosten, wenn mehr und mehr dezentrale Erzeuger den EE-Strom zur Eigennutzung einsetzen würden, und im eigenen System zum Lastmanagement und Speichern greifen, vielleicht auch zum Aufladen von Elektrofahrzeugen. Dann würde über das Verteilnetz noch Zusatz- und Reservestrom geliefert, vermutlich aber eine geringere Kapazität als im Einspeisefall erforderlich. Vielleicht kann das Modellsystem für weitere Modellrechnungen dieser Thematik genutzt werden.
Naheliegend ist hier dann auch die Frage, wie es technisch –wirtschaftlich aussehen würde, Speicherkapazitäten im Niederspannungsnetz statt beim Endverbraucher einzusetzen. Damit wären dann sicher auch weitere Strommarktdesign-Fragen verbunden und die reine Verteilnetzperspektive würde verlassen.
Sind die Ergebnisse der Studie auch für andere Länder von Interesse? Auch für Entwicklungsländer? Perspektivisch und in Bezug auf die Planung und Netz-Richtlinien auf jeden Fall! Aktuell kommt es auf den Ausbaustand und die Entwicklung dezentraler EE-Stromerzeugung an.
Contact
Dr. Paul H. Suding Mail: paul@elsud.net
Greijze Graaf 9
6245 KG Eijsden/Mesch
The Netherlands
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Felix Sampson (Friday, 03 February 2017 03:10)
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